Eingeschränkte Meinungsfreiheit in Bremen und anderswo

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Sie wollen einen Leserbrief veröffentlichen oder einen Kommentar unter einen Artikel setzen? Das können Sie in so gut wie allen anderen Medien, weltweit.

In Bremen allerdings nicht.

buten und binnen LogoNehmen wir einmal Radio Bremen, unseren Heimatsender. (So sagte man früher). Am 7. Juni 2017 ging auf der Homepage von Radio Bremen ein neues Nachrichtenportal auf Sendung – „butenunbinnen.de“. Nun ohne die Möglichkeit, Nachrichten und Kommentare zu kommentieren, außer durch die so genannten Sozialen Medien.

Die Gruppe „Art. 5 GG“ beschwerte sich seinerzeit (auch) deswegen beim Intendanten von Radio Bremen, Jan Metzger. Ohne Erfolg.

Ich finde das unglaublich: Wir Bürger beteiligen uns mit 17.50 € pro Monat am Haushalt von Radio Bremen, aber Kommentare zu der Arbeit und den Themen des Senders dürfen wir nicht auf dessen Homepage einsetzen.

Das halte ich für nicht vereinbar mit dem Grundgesetz.

Unser aller Meinungsfreiheit beschneidet nun auch der Weser Report. Bis vor einem Vierteljahr konnte man dort problemlos unter jeden Artikel einen Kommentar einsetzen. Im Juni schaltete der Weser Report diese Funktion ab. Ich schrieb deswegen die Verlagsleitung an. Robert Lürssen antwortete: „Danke für Ihre Nachricht. Wir haben unsere Prozesse überprüft und festgestellt, dass wir einen Knoten in der Leitung hatten. Ab sofort werden wir wieder Kommentare ermöglichen.“

Weser Report logoDer Weser Report schaltete die Kommentarfunktion wieder frei. Gottlob.

Nach vier Wochen rieb ich mir allerdings die Augen: die Kommentarfunktion war schon wieder weg. Ohne jede Erklärung für diesen Sinneswandel. Für den Fall, dass man einen Artikel kommentieren will, verweist nun auch der Weser Report auf Facebook und Twitter. Das will ich aber nicht. Das Feld überlasse ich gerne anderen, bis hin zu Donald Trump.

Ich staune und frage: Was sind denn das für Sitten?! Das kannten wir bislang gar nicht. Ich halte das für eine Verrohung.

Nun meldet gerade die Wochenzeitung „Junge Freiheit“ (JF), die Deutsche Welle (DW), der deutsche Auslandsrundfunk mit Radio- und Fernsehprogramm, habe die Kommentarfunktion unter seinen redaktionellen Meinungsbeiträgen abgeschaltet. (Hier der JF-Artikel)

Demnach habe die Chefredakteurin der Deutschen Welle, Ines Pohl, mitgeteilt, diese Entscheidung sei der DW schwer gefallen. Denn gerade die DW kämpfe „ja für einen offenen, kritischen Austausch von unterschiedlichen Argumenten, für die weltweite Pressefreiheit“. Doch die meisten (!) Kommentare hätten diese Funktion zu „Haßbotschaften“ genutzt.

Wer seine Meinungen zu Artikeln abgeben möchte, solle das auf Facebook oder über die eingebundene Feedback-Funktion tun.

Also wie Radio Bremen und der Weser Report?

Nein, sagt die FAZ. Sie bringt darüber eine weitere Meldung, die das Ganze relativiert. Sie schreibt:

„Der Sender zieht die Notbremse, allerdings nicht – wie sogleich missverstanden wurde – komplett, sondern gezielt. Zu nachrichtlichen Beiträgen können sich Leser weiterhin melden und punktuell, schreibt Ines Pohl, werde man zu einzelnen Meinungstücken die Kommentarfunktion ebenfalls öffnen, um – eine Debatte zu führen. Diese freilich kann im Netz nur gelingen, wenn diejenigen mitmachen, die eben nicht beleidigen, beschimpfen und hetzen. Unter den Nutzern sei die Zustimmung zu dem von Ines Pohl verkündeten Schritt übrigens groß, heißt es bei der Deutschen Welle auf Nachfrage.“

Wie ist es denn nun wirklich?

Deutsche Welle LogoGehen wir auf die Homepage der DW. Am 12.08.2018 um 23:04 Uhr besuchte ich die DW auf ihrer Netzseite.

Die Titel der ersten vier Artikel lauteten:

  1. NACH BEHÖRDENFEHLER. Abgeschobener Asylbewerber wieder zurück in Deutschland
  2. HOLOCAUST-GEDENKTAG FÜR SINTI UND ROMA. Auschwitz-Überlebender Mano Höllenreiner: „Wir waren ja Deutsche!“
  3. LEICHTATHLETIK EM. Athleten wollen mehr Kanzlerin.
  4. Bundeswehr: Gut gerüstet für den Cyberkrieg?

Der Cyber- und Informationsraum (CIR) soll Deutschland besser gegen Cyberangriffe schützen. Doch die Finanzierungsprobleme der Bundeswehr und der Mangel an gutem Personal erschweren den Ausbau der Cybersicherheit.

Unter keinen der vier Artikel war ein Kommentar einsetzbar. Es gab nur Verweise auf sieben sog. „Soziale Medien“, auf die Möglichkeit, den Artikel per E-Mail zu versenden und den Hinweis: „Feedback: Schicken Sie uns Ihr Feedback“. Klickt man darauf, öffnet sich ein Fenster, das mit der Aufforderung beginnt, ein Formular auszufüllen. Der erste Satz lautet: „Bitte nutzen Sie das Formular, um uns Ihren Kommentar zu schicken.“

Die FAZ schreibt von der Möglichkeit, „man könne weiterhin „zu einzelnen Meinungstücken die Kommentarfunktion ebenfalls öffnen, um – eine Debatte zu führen.“ Ich habe sie hier nicht gefunden. Gibt es für solche Artikel eine Suchfunktion?

Falsche Versprechungen. Wer hat sie zu verantworten? Die FAZ, die DW? Ich weiß es nicht. Ich weiß jetzt, dass es die Meinungsfreiheit, die es in Deutschland noch vor Jahr und Tag gab, nun nicht mehr gibt. Auch nicht bei der DW.

Deutsche Welle LogoAch, schade, denke ich. Ich kenne die DW seit meiner Zeit in Estland und Bulgarien 1997-2003 sehr gut: ein honoriger Sender auf hohem Niveau. Ich erinnere mich dankbar an die weltweiten Interviews mit im Ausland Beschäftigen wie mir zu wichtigen Themen und anlässlich von Feiertagen und Gedenktagen. Für mich ist es unvorstellbar, dass auch nur ein Bruchteil der Hörer und Zuschauer der DW auf ein so tiefes Niveau herabgesunken ist, dass es nur zu „Hassbotschaften“ reicht. Aber, wie man so sagt, es ist, wie es ist. Damit muss ich mich abfinden.

Halt! Stopp! Ich entnehme beim Weiterlesen der JF den Hinweis, die DW-Chefredakteurin Ines Pohl sei früher Chefredakteurin der TAZ gewesen. Da horche ich auf. Das ist doch dieselbe Zeitung, die vor nunmehr fünf Jahren den Rufmord an mir durch meine damalige Partei, die SPD, als erste Zeitung exekutierte.

Manch einer, der politisch interessiert ist, wird sich an diesen Fall wenigstens dunkel erinnern: Im Februar 2013 rückte ich für eine verstorbene Genossin als Abgeordneter in die Bremischen Bürgerschaft nach. SPD-Partei und -Fraktion waren überrascht. Damit hatten sie nicht gerechnet. Nun waren sie entsetzt: „Was?! Martin als Parteisoldat?! Ein Genosse, der sich der Fraktionsdisziplin unterwirft?! Nie!“

Mord ist nicht mehr in Mode. Also organisierten Partei und Fraktion einen klassischen Rufmord. Sie übergaben Benno Schirrmeister, damals wie heute Redakteur der TAZ-Bremen, ein DIN-A 4 Blatt mit Zitaten aus meiner Homepage, die offen und für jedermann lesbar seit 2011 im Netz stand. Mit diesen, aus dem Zusammenhang herausgerissenen Sätzen konfrontierte mich Benno Schirrmeister am 20. Februar 2013 im Festsaal der Bürgerschaft. Er begann seinen Anschlag mit der Frage: „Warum sind Sie Rassist in der Nachfolge von Heinrich Himmler?“

Ich war entsetzt und bat die versammelte SPD-Truppe am Nebentisch um Hilfe. Unser Bürgermeister Jens Böhrnsen reagierte mit dem Hinweis, ich hätte ihn als Bürgermeister ja nicht gewollt. (Was, nebenbei gesagt, falsch war. Ich gehörte zu den 100 % der Delegierten auf dem Landesparteitag, die ihn auf den Schild gehoben hatten). Sei‘s drum. Der Rest war Schweigen.

Tags drauf, am 21.02.2013, erschien programmgemäß Schirrmeisters Artikel über mich, um mir politisch den Garaus zu machen: „SPD-Abgeordneter hetzt gegen Roma“. Untertitel: „Rassismus. Ein SPD-Abgeordneter der Bremischen Bürgerschaft verbreitet auf seiner Homepage dumpfe Stereotype über Roma. Die Partei distanziert sich umgehend und sieht Gesprächsbedarf in der Fraktion.“

Von nun an lief alles wie am Schnürchen. Ich war ein Unmensch geworden: Ausschluss aus der SPD, Fraktion und Partei; Ausschluss aus der Katholischen Arbeitnehmerbewegung; Ausschluss aus der GEW Bremen, von der Bundesschiedskommission abgemildert zum Aktionsverbot auf sechs Jahre. Ausschlussversuch aus der Bremer Seniorenvertretung. Und, und, und. Von mir nahm niemand mehr ein Stück Brot.

Und nun soll ich glauben, dass die Deutsche Welle ihre Homepage dicht macht wegen irgendwelcher „Hasskommentare“? Das kann Ines Pohl sonst jemandem erzählen, aber mir doch nicht. Das sind erfundene Feinde, das sind erfundene Geschichten. Für mich sind das Lügengeschichten. Nun ist auch bei der DW die Meinungsfreiheit gestorben.

Frage: Bewegt man sich im Rahmen der Meinungsfreiheit, wenn man sagt, dass sie gerade abgeschafft wird? Ich meine, damit beginnt sie erst.

Martin Korol, Bremer Meinungsforum